»Die letzten Tage des Jahrhunderts erzeugen eine Flut von Rückblicken und Voraussagen. Dabei erzählen die Rückblicke nur, was wir eh schon wissen, und die Voraussagen sind reine Windmacherei. Das wirklich Aufregende wäre, zu wissen, was vergessen wird und wie das Vergessene dereinst wiederkehrt, wie es hineintanzt in die Salons des einundzwanzigsten Jahrhunderts und eine neue Kunst bewegt. Denn daß sich die kommenden Jahrzehnte befreien werden von einem immensen Schutt der Erinnerung, ist keine prophetische Voraussage, das liegt in der menschlichen Natur. Diese kann nicht anders. Sie geht mit dem Vergangenen am liebsten um wie ein nasser Hund mit dem Wasser im Fell. Das zuckt und wirbelt und saust, und trocken ist das Vieh.

Wenn daher in diesem letzten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts alle Kulturwissenschaften unisono und fast fieberhaft vom Gedächtnis zu reden beginnen, Gedächtnistheorien entwickeln und förmliche Gedächtnisreligionen stiften möchten, beschleicht den kühlen Beobachter der Gedanke, daß hier wohl eher das Gegenteil im Gange sein dürfte. Da steigt ein nasser Hund aus dem Wasser, und man will es unter keinen Umständen wahrhaben.«

Aus dem Büchlein von Peter von Matt